HINTERGRUND

Die Forderung nach mehr sexueller Freizügigkeit kann manchen Bewohner liberaler Metropolen überraschen. Denn gab es nicht schon in den späten 1960er Jahren eine sexuelle Revolution? Haben sich nicht bereits in den 1970er Jahren Sexshops verbreitet und ist nicht spätestens seit den 1980er Jahren die BDSM- und Fetisch-Szene etablierter Bestandteil der Gesellschaft? Ist die LGBTQI-Community heutzutage nicht so akzeptiert wie nie zuvor? Das ist wohl wahr, aber trotzdem gibt es immer noch große Unterschiede zwischen den einzelnen Städten. Wir stellen euch daher in einem auf unseren Recherchen basierenden Ranking die 27 sexuell freizügigsten Städte der Welt vor.

Unser Vorgehen

Um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen, haben wir keine Mühen gescheut und viele Daten aus mehreren Kategorien in unsere Bestenliste einfließen lassen. Wir haben uns im Detail für jede Stadt angeschaut, welche Parameter bezüglich sexueller Freizügigkeit stark ausgeprägt sind und gewürdigt werden können.

Dazu gehört die Anzahl von Gaybars und ob es Anti-Diskriminierungsgesetze gibt, die Erlaubnis für Geschlechtsanpassungen, die Anzahl jährlich wiederkehrender LGBTQI-Events wie z.B. Gayprides, der Zugang zu Verhütungsmitteln und ob zum Schutz von Prostituierten Sexarbeit legalisiert ist.

Für jeden Parameter haben wir Punkte vergeben, je höher die Ausprägung, je höher der Wert und die Platzierung in unserem Ranking. Dabei haben sich einige interessante Ergebnisse abgezeichnet. Über jede Stadt in unseren Top 27 könnt ihr mit einem Klick auf der Karte oder in der Liste mehr erfahren.

Warum ist sexuelle Freizügigkeit so wichtig?

Bei der Betrachtung dieser Studie stellt sich natürlich die Frage danach, warum sexuelle Freizügigkeit einen wichtigen Wert darstellt, der untersucht werden sollte. Ganz einfach: sexuelle Freizügigkeit, auch Sexpositivität genannt, ist ein Faktor, in dem der Entwicklungszustand vieler gesellschaftlicher Teilbereiche zusammenfällt. Denn es sagt viel über eine Gesellschaft im Allgemeinen aus, wenn in ihr Minderheiten wie die LGBTQI-Community oder auch Frauen an sich in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Solche Einschränkungen können sowohl mit sogenannten traditionellen Werten, also auch durch politische Argumentationen begründet werden. Wie die feministischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts gezeigt haben, ist die Emanzipation von Geschlechtern oder Minderheiten immer auch mit der Akzeptanz sexueller Freizügigkeit verbunden.

Sexuelle Freizügigkeit ist nicht selbstverständlich

Bereits durch einen Blick auf die jüngere deutsche Geschichte wird schnell deutlich, wie vorteilhaft für die Entwicklungsmöglichkeiten eines Individuums eine liberale Haltung von Staat und Gesellschaft zu sexueller Freizügigkeit ist. Schnell ist aufgezählt, was sich in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten getan hat. Schaut man auf die Geschichte der rechtlichen Anerkennung von Homosexualität in Deutschland, fällt auf, dass homosexuelle Handlungen noch bis 1968 sowohl in der BRD als auch in der DDR per Gesetz als kriminell galten und auch geahndet wurden. Erst ab 2001 waren homosexuellen PartnerInnen sogenannte eingetragene Lebenspartnerschaften erlaubt, was einer gewissen rechtlichen Anerkennung entsprach. Erst seit dem Jahr 2017 ist es gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland erlaubt, zu heiraten.

Sexuelle Freizügigkeit ist für viele Gruppen relevant

Ähnlich verhält es sich beim Blick auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen: noch bis in das Jahr 1970 wurden homosexuelle oder stark sexuell aktive Mädchen und junge Frauen in sogenannte Erziehungsheime eingewiesen, wo sie oftmals auch misshandelt wurden. Schwangerschaftsabbrüche sind erst seit 1974 entkriminalisiert, aber bis heute grundsätzlich illegal. Geistig behinderte Menschen wurden in Deutschland bis 1986 noch ganz selbstverständlich ohne deren Einwilligung sterilisiert. Bis zum Jahr 1997 war eine Vergewaltigung innerhalb einer Ehe noch legal und bis 2016 galt eine Vergewaltigung generell nur dann als solche, wenn das Opfer heftige Gegenwehr geleistet hatte, was oftmals aus Todesangst unterbleibt. Was können wir daraus schließen?

Freiheit und sexuelle Freizügigkeit sind untrennbar

Anhand der aufgezählten Entwicklungsschritte im deutschen Recht und der deutschen Gesellschaft, lässt sich unschwer erkennen, wie eng sexuelle Freizügigkeit und die allgemeine Freiheit des Individuums in Zusammenhang stehen. Nur wenn Sexualität nicht dämonisiert oder illegalisiert ist, kann auch das Individuum in einer Gesellschaft Freiheit genießen. Wer gesellschaftlichen Normvorstellungen entspricht, zum Beispiel als heterosexueller, weißer Mann ohne ausgefallene erotische Wünsche, der ist von Restriktionen bei sexueller Freizügigkeit vielleicht nicht besonders betroffen. Dies gilt aber nicht für den weiblichen Teil der deutschen Gesellschaft, der ganze 51% ausmacht, und auch nicht für die etwa 7% der Menschen, die sich in Deutschland der LGBTQI-Community zugehörig fühlen. An dieser Stelle kann man bereits deutlich erkennen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung von Gesetzen profitiert, welche einen relativ hohen Grad an sexueller Freizügigkeit und Selbstbestimmung garantieren. Wir hoffen, dass unser Ranking eine Entscheidungshilfe für all diejenigen sein kann, die auf der Suche sind nach einem Ort zum Leben, an dem sie möglichst frei von Diskriminierung ihr Glück finden und sich entfalten können.

Die Gewinner dieses Rankings

Auf dem ersten Platz des Sexually Liberal City Index 2024 landet San Francisco. Die kalifornische Metropole kann sich im Vergleich zum Vorjahr gleich sieben Plätze nach vorne kämpfen und sich so den Titel “Sexually Liberal City” sichern. Sie überzeugt vor allem aufgrund ihrer riesigen LGBTIQ-Szene, die international ihresgleichen sucht.

Ebenfalls ganz weit nach oben schafft es in diesem Jahr die niederländische Hauptstadt Amsterdam, die auf einem sensationellen 2. Platz landet. Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es hier besonders viel sex-positives Leben zu entdecken. Die Stadt profitiert außerdem von einer äußerst liberalen Gesetzgebung, was das sexuelle Leben vor Ort betrifft.

Nach einem überraschenden ersten Platz im letzten Jahr, landet Köln 2024 auf einem sehr guten dritten Platz. Damit befindet sie sich weiterhin auf Augenhöhe mit den großen Metropolen dieser Welt und profitiert neben einer großen Anzahl an LGBTIQ-Events vor allem von einer vergleichsweise stabilen rechtlichen Situation von sexuellen Minderheiten und Sexarbeitenden. Zum Vergleich: Berlin landet auf dem siebten Platz.

Übrigens: Hierzulande wurde 1962 übrigens der erste Sex-Shop der Welt eröffnet, von der Unterehmerin und Pilotin Beate Uhse. Wahrscheinlich liegt das gute Abschneiden Deutschlands in diesem Ranking auch an ihrer Arbeit.

Zu den größten Gewinnern des diesjährigen Rankings gehört Lissabon. In diesem Jahr erstmals in unserem Ranking dabei, schafft es die Hauptstadt Portugals gleich auf einen hervorragenden vierten Platz. Auch Hamburg, die erstmals im Index vertreten sind, schafft es direkt in unsere Top10.

Als wir den Sexually Liberal City Index im letzten Jahr zum ersten Mal durchgeführt haben, landete die amerikanische Metropole New York auf dem ersten Platz. Zwei Jahre später reicht es für die Stadt, die niemals schläft “nur noch” für Platz 19. Dies liegt jedoch nicht daran, dass es weniger sex-positives Leben vor Ort gibt – sondern viel mehr daran, dass die Konkurrenz weltweit stärker geworden ist. War Sexpositivität früher nur ein Randthema, so lässt sie sich heute aus vielen Bereichen der Gesellschaft nicht mehr wegdenken.

Auch die Schlusslichter können überzeugen

Am unteren Ende unseres Rankings befinden sich die Städte Houston und Dallas und Santiago de Chile. Doch nur weil sich eine Stadt in dieser Rangliste ‘hinten’ befindet, heißt das nicht, dass dort nicht sex-positiv zugeht. In allen Städten, die wir für unser Ranking analysiert haben, konnten wir sexpositive Elemente entdecken. Aber die Konkurrenz ist eben stark, was ein gutes Zeichen ist für viele Menschen auf dieser Welt.

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Methodik

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