Wie geht es den Sexarbeitenden in Deutschland? Klar ist: Sexarbeit ist ein Thema, das oft von gesellschaftlichen Vorurteilen und rechtlichen Kontroversen begleitet wird. Die „Sex Work Well-Being Umfrage 2024“ von Erobella, zielt darauf ab, einen differenzierten Blick auf die Lebensrealitäten von Sexarbeitenden in Deutschland zu werfen. Die Umfrage bietet eine detaillierte Übersicht über die gesundheitliche, soziale und rechtliche Situation dieser Berufsgruppe und beleuchtet die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen.
Hintergrund
Im Jahr 2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden in Deutschland regulieren soll. Derzeit wird das Gesetz vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen evaluiert, um seine Auswirkungen zu bewerten. Ob die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist jedoch unklar. Vor diesem Hintergrund und zur Förderung der Transparenz wurde die „Sex Work Well-Being Umfrage 2024“ von Erobella initiiert, der unabhängig von staatlichen Untersuchungen die Situation von Sexarbeitenden erfasst.
Die Umfrage
Für die Erstellung der Umfrage wurden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) 205 Sexarbeitende in Deutschland mittels Fragebögen befragt. Die Befragung erfolgte anonym, um den Schutz der TeilnehmerInnen zu gewährleisten. Die untersuchten Themenbereiche umfassten:
- Gesundheit und Wohlbefinden
- Soziale Unterstützung und Community
- Recht und Gesetz
- Geschlechtskrankheiten
- Grundsätzliche Zufriedenheit
- Sicherheit
Allgemeine Charakteristika der Befragten
Die Befragten repräsentieren eine diverse Gruppe von Sexarbeitenden, was Geschlecht, Herkunft und Arbeitsumfelder betrifft.
Wie geht es den Sexarbeitenden in Deutschland gesundheitlich?
Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Befragten (rund 85%) ihre physische und psychische Gesundheit als positiv bewertet und Zugang zu psychologischer Betreuung hat. Dennoch gibt es eine signifikante Minderheit, die mit psychischen Problemen kämpft. Häufige Stressfaktoren, wie unzuverlässige Kunden, Buchungsmanagement und kulturelle Barrieren, beeinträchtigen sowohl das Arbeits- als auch das Privatleben. Diese Faktoren erschweren es, gesunde Beziehungen zu pflegen, Selbstfürsorge zu betreiben und eine stabile Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten.
Zitate von Sexarbeitenden:
„Sich um meine mentale Gesundheit zu kümmern, ist entscheidend, weil ich nicht gut oder sicher arbeiten kann, wenn ich in einem schlechten psychischen Zustand bin. Der Austausch mit anderen Sexarbeitenden durch regelmäßige Treffen oder Aktivitäten, die von BesD oder anderen organisiert werden, trägt wesentlich zu meiner psychischen Gesundheit bei.”
“Durch die Sexarbeit und die negativen / verarschenden Typen, bin ich selbstbewusster geworden und lasse mir keine Lügen mehr auftischen, auch nicht privat.”
“Für den Job braucht man einen starken psychischen Zustand. Hauptsächlich wegen der Vorarbeit und dem Backoffice. Nicht wegen der Treffen selbst.”
Allgemeine Zufriedenheit
Die Befragten hoben mehrere positive Aspekte ihrer Arbeit hervor, wie finanzielle Unabhängigkeit, flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, ihren eigenen Zeitplan zu gestalten. Trotz dieser Vorteile bestehen jedoch erhebliche Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf prekäre Arbeitsbedingungen, mangelnden Arbeitnehmerschutz und das Risiko sexueller Übergriffe. Besonders das Verhalten von Kunden wird kritisiert, die nicht zu ausgemachten Treffen erscheinen oder immer wieder Services anfragen, die eine Sexarbeiterin gar nicht anbietet.
Zitat von Sexarbeitenden:
„Sexarbeit ermöglicht es mir, mit einem geringeren Zeitaufwand gut zu verdienen. Ich bin schon eine ältere Frau, aber in der Sexarbeit bin ich weiterhin sehr gefragt.“
„Das Verhalten der meisten Männer sollte sich ändern: Täuschung, Termine vereinbaren und nicht erscheinen, Preisdumping und, sehr wichtig: das Nachfragen von Dienstleistungen, die ich gar nicht anbiete.“
“Ich habe wenig Freizeit, weil ich ständig erreichbar sein und mit den Kunden in Kontakt bleiben muss.”
“Ich empfinde es als sehr stressig, dass die User sich die Profile nicht genau anschauen und durchlesen.”
Vorurteile und Stigma
Sexarbeitende berichteten, dass ihr Beruf das Privatleben auf verschiedene Weise beeinträchtigt. Schwierigkeiten beim Beziehungsaufbau, eine verringerte Libido und der Druck, ständig erreichbar zu sein, sind häufig geäußerte Probleme. Darüber hinaus äußerten die Befragten einen starken Wunsch nach gesetzlichen Änderungen, insbesondere in den Bereichen Entkriminalisierung der Sexarbeit und ein gerechterer Umgang mit MigrantInnen in der Branche.
Zitate von Sexarbeitenden:
„Ich lebe ein normales Leben, manchmal erkennen mich Leute in der Stadt, aber das hindert mich nicht daran, mein Leben zu leben.“
“Es ist leider nicht möglich, eine richtig schöne Beziehung privat zu führen.”
“Meine Arbeit als Sexarbeiterin macht das normale Dating praktisch unmöglich.”
“Seitdem ich die Sexarbeit professionell mache, bin ich selbstbewusster geworden”
“Ich muss schon aufpassen, wem ich sage, dass ich Sexarbeiterin bin. Es gibt Männer und auch Frauen von denen ich auf gar keinen Fall für Sexarbeit angefragt werden will. Ich hatte das schon erlebt, dass jemand aus meiner alten Schulklasse rausgefunden hat, dass ich Sexarbeit mache und er mich angeschrieben hat so „Hey! Du bist doch Nutte – wann kann ich dich ficken?“
Fazit
Die „Sex Work Well-Being Umfrage 2024“ zeichnet ein differenziertes Bild der Situation von Sexarbeitenden in Deutschland. Während viele die Vorteile ihrer Arbeit schätzen, bleiben Herausforderungen wie Sicherheit, Stress und die Auswirkungen auf das persönliche Leben bestehen.
Ola Miedzynska, Mitgründerin von Erobella, fasst die Ergebnisse der Umfrage wie folgt zusammen: “Die Umfrage zeigt deutlich, dass wir als Gesellschaft endlich bereit sein müssen, die Bedürfnisse und Stimmen der Sexarbeitenden ernst zu nehmen. Es geht dabei nicht nur um Gesetzesänderungen, sondern um einen grundsätzlichen Wandel in der Art und Weise, wie wir über Sexarbeit sprechen und denken. Wir müssen den Fokus auf das Wohlbefinden, die Rechte und die Sicherheit derjenigen richten, die oft am Rand der Gesellschaft stehen, und ihnen die Anerkennung und Unterstützung geben, die sie verdienen.“
Unsere Empfehlungen
- Sag Nein zum Nordischen Modell: Das sogenannte Nordische Modell, welches von verschiedenen Parteivertreter:innen aktuell gefordert wird, würde die Sicherheit der Sexarbeitenden nachweislich verschlechtern. Nur durch eine umfassende Anerkennung der Arbeit von Sexarbeitenden kann es einen wirksamen Schutz geben. Es ist daher notwendig, mit politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten, um Gesetze und Lösungen zu schaffen, die die Rechte und Sicherheit dieser Berufsgruppe stärken und nicht schwächen.
- Verbesserte Migrationsverfahren: Die Vereinfachung der Registrierungsverfahren für Migranten ist unerlässlich, um Gleichbehandlung und Schutz zu gewährleisten und Ausbeutung zu verringern.
- Verbesserte Gesundheitssysteme: Es müssen Gesundheitsdienste entwickelt werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Sexarbeitenden zugeschnitten sind, um Zugang zu umfassender medizinischer Versorgung ohne Stigmatisierung zu gewährleisten.
- Abbau von Stigmatisierung und Vorurteilen: Öffentlichkeitskampagnen sollten das Ziel haben, Stigmatisierung und Vorurteile gegenüber Sexarbeitenden abzubauen und die Akzeptanz dieses Berufsstandes in der Gesellschaft zu fördern.
- Unterstützungssysteme und Ressourcen: Es sollten geschützte Räume und Gemeinschaftszentren geschaffen werden, in denen Sexarbeitende Zugang zu psychosozialen Diensten, Rechtsbeistand und finanzieller Beratung erhalten.
Methodik und besonderer Dank
Die Umfrage wurde in den Monaten Juni und Juli 2024 online durchgeführt, wobei Antworten von insgesamt 205 Teilnehmern gesammelt wurden. Alle Beiträge wurden anonym erfasst, um den Datenschutz zu gewährleisten und ehrliches Feedback zu fördern. Die Mehrheit der Befragten stammte aus der Erobella-Benutzerbasis, während zusätzliche Antworten durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen NGOs, die sich für SexarbeiterInnen einsetzen, gesammelt wurden. Dieser vielfältige Teilnehmerpool bietet eine abgerundete Perspektive auf die Thematik.